Der 23.
September 2016 – der Tag der alles veränderte Morgens um 6 Uhr ging für Niclas der Wecker, Larissa
war schon etwas früher aufgestanden, da sie mittlerweile einen Bus früher
fuhr um pünktlich vor dem Unterricht in der Schule zu sein. Da der Zug doch
regelmäßig Verspätung hat und nun in der Oberstufe nicht leider jeder Lehrer
dafür Verständnis hat, wenn man aufgrund dessen 3-5 Minuten zu spät im
Unterricht erscheint. Nach dem Frühstück packten beide ihre Frühstücksdosen
in die Rucksäcke und ich verabschiedete mich von Larissa an der Haustür.
Wenige Minuten später zog Niclas Schuhe und Jacke an, nahm seinen Rucksack
und machte sich auf den Weg in die Garage um sein Fahrrad zu holen. Wie
jeden Morgen stand ich auf dem Balkon um ihn zu verabschieden. Da es an dem
Morgen doch sehr kalt war, bat Niclas mich noch ihm die Handschuhe zu
bringen. So holte ich diese noch aus der Kommode und ging zu ihm unten auf
die Terrasse. Nachdem er Helm und Handschuhe anhatte, verabschiedete er sich
wie immer mit den Worten: „Tschüss Mama“ und ich sagte, „Tschüss Niclas“ und
wie immer kam als Nachsatz von ihm „Bis heute Mittag“. Und ich antwortete:
„Ja, bis heute Mittag und viel Spaß“. Es war ein ganz normaler Tag, für die Jahreszeit ein
sehr schöner sonniger Tag, mit der morgens entsprechenden Kälte. Mittags
dagegen war es zum Teil wirklich noch sehr warm. Niclas hatte an dem Tag 5 Stunden Schule und ich habe
an dem Vormittag ganz normal den Haushalt gemacht, etwas für den Verein
bearbeitet und noch Kerzenpakete für den Herbst/Winter bestellt. Niclas telefonierte nach der 5. Stunde noch mit mir (da wusste ich noch nicht, dass es das letztemal sein sollte, dass ich seine Stimme höre). Er verabschiedete sich kurz danach noch von seinem Freund und machte sie dann auf den Heimweg. Nach dem Telefonat mit Niclas telefonierte ich noch mit meiner Freundin
Christine über viele Dinge, unteranderem kamen wir auch darauf zu sprechen,
dass Niclas damals nach meinem Kaiserschnitt ja so krank wurde, dass er auf
die Intensivstation musste (er hatte sich einen Keim über die Klimaanlage
eingefangen). Wir kamen nur darauf, da wir uns Sterilisation,
Gebärmutterentfernung, Kaiserschnitt, etc. unterhielten und uns daher diesen
Augenblick von seiner Geburt in der Erinnerung riefen. Irgendwann sagte ich
dann, dass ich Niclas nun eigentlich daheim sein müsste und ich ihm mal
anrufen wollte, wo er bleibt und wir beendeten das Gespräch. Ich rief Niclas auf dem Smartphone, aber er nahm das
Gespräch nicht entgegen und auch auf die WhatsApp Nachricht reagierte er
nicht. So entschied ich mich bei seinem Freund Jonathan an und fragte
nach ob er schon Zuhause sei. Jonathan hatte Niclas und Rene wohl
irgendwie auf dem Schulhof verpasst und wusste nicht wo die Beiden waren, so dass er sich
dann alleine auf den Heimweg machte. Er und Niclas kommunizierten später
noch per WhatsApp, so dass hier Beide wussten es war okay und kein Problem,
dass sie sich verpasst hatten. Daraufhin rief ich bei Rene an und sprach mit seiner
Mutter. Sie wollte Rene gleich fragen (er war gerade im Bad) und rief mich
nur wenige Minuten später zurück. Rene und Niclas hatten sich um 12.35 Uhr
verabschiedet und Niclas hat sich gleich auf den Heimweg gemacht.
Zu diesem Zeitpunkt war er auch das letzte mal bei WhatsApp online gewesen. Ich wurde nun extrem unruhig, versuchte es erfolglos
wieder an seinem Handy. Dann bat ich Larissa, dass sie es doch mal versucht
und telefonierte auch mit meinem Mann. Dann sagte ich meiner Mutter
bescheid, dass ich mich auf die Suche nach Niclas machen wollte, da es nicht
normal war, dass er später kommt ohne irgendwie bescheid zu geben. Mit
Portemonnaie und Smartphone bewaffnet setze ich mich ins Auto. Gerade wollte
ich losfahren, das sah ich im Außenspiegel ein Polizeiauto in unsere
Richtung fahren und nachfolgend einen Notarztwagen. So stieg ich erstmal aus
dem Auto aus und ging in Richtung Haustür. Mich beschlich nun noch viel mehr ein komisches
Gefühl, es war als wüsste man ganz genau, dass etwas Schlimmes passiert ist.
Die Polizei hielt an und die Polizisten stiegen aus. Einer von Ihnen lief
suchend an den Häusern vorbei und ich trat dann auf ihn zu und fragte: „Sie
wollen nicht zu mir, oder ?“ Der Polizist antwortete: „Wie heißen Sie denn
?“ Ich sagte ihm meinen Nachnamen. Er schaute mich an und sagte: „Doch Frau
Heitbrink wir wollen zu Ihnen.“ Mir zog es in dem Moment die Magengrube
zusammen, aber noch hatte ich die Hoffnung, dass Niclas einen Unfall hatte
und im Krankenhaus liegen würde. Der Polizist legte seine Hand auf meinen
Arm und fragte dann: „Können wir vielleicht zu Ihnen reingehen Frau
Heitbrink ?“ Ich nickte mit dem Kopf und nahm die beiden Polizisten und die
beiden Frauen vom Notarztteam (zu dem Zeitpunkt war mir noch nicht klar,
dass die Beiden zum Seelsorgeteam gehören) mit in unsere Küche. Meine Mutter
kam auch dazu. Wir saßen dann da unter der Polizist sagte zu uns: „Frau Heitbrink, Niclas hatte einen schweren Unfall“.
Ich nickte und sagte. „Das habe ich mir gedacht“. Der Polizist sagte weiter:
„Niclas ist tot“ Ein Satz und alles hatte sich verändert. Ich war erstmal wie gelähmt und doch innerlich noch
ruhig. Es war irgendwie wie in einem Film, solche Szenen kann man eigentlich
nur aus dem Fernsehen, aber nicht im realen Leben. Ich sagte wohl auch: „Nicht schon wieder, wir haben
doch schon ein Kind verloren“ Wichtig für mich in diesem Zeitpunkt war zu erfahren,
was passiert war und wo es passiert war. So bekame ich weitere Infos. Man
fragte auch ob man Mann noch auf der Arbeit wäre oder schon auf dem Heimweg
(Björn wollte an dem Tag früher Feierabend machen). So telefonierte ich mit
ihm und erfuhr, dass er schon auf dem Heimweg ist. Larissa müsste auch bald
von der Schule kommen. Mir fiel ein, dass ich das Portemonnaie und das
Smartphone noch im Auto hatte. So ging ich nach draußen, da ich befürchtete,
dass Larissa versuchte mich über WhatsApp zu kontaktieren und ich es
verpassen würde. Draußen vor dem Haus brachen dann erstmal die Gefühle aus
mir heraus und ich musste laut heulen. Marion und Joyce kamen von der
anderen Seite direkt zu mir gelaufen und fragten nach was passiert war. Ich
erzählte es Ihnen und Marion fing auch an zu heulen und drückte mich ganz
fest. Joyce war schockiert und lief gleich los um ihren Papa zu holen, der
dann auch gleich zusammen mit dem Bürgermeister (er war gerade bei ihnen zu
Besuch) nach draußen kam. Einige Minuten später kam meine Mutter nach draußen
und bat mich reinzukommen, da die Polizisten sich Sorge machen würden. Mir
schoss durch den Kopf „ Was soll dass, denken die ich würde mich in der
Welzbachstraße vor das nächste Auto werfen ?“ Also holte ich meine Sachen
aus dem Auto und ging wieder ins Haus. Es kam auch die Frage auf ob wir
Niclas an der Unfallstelle noch mal sehen wollen und meine Mutter und ich
antworten sofort mit Ja. So tat der Polizist alles um es uns zu ermöglichen
Niclas direkt noch mal an der Unfallstelle zu sehen. Nun klingelte es an der Haustür und Larissa war
Zuhause. Auf dem Weg nach Hause war ihr wohl auch schon klar, dass
irgendetwas passiert war und mein Gesichtsausdruck machte es wahrscheinlich
nicht besser. Ich begleitet sie in die Küche und sagte ihr was passiert ist.
Dies ist kaum vorstellbar, seinem Kind mittzuteilen, dass der jüngere Bruder
gerade bei einem Unfall getötet worden ist…. Larissa bekam eine Heulkrampf,
natürlich konnte auch sie es nicht fassen. Wer rechnet schon mit so etwas.
Nach ca. 10 Minuten (für sie eine gefühlte Ewigkeit) war sie auf einmal
ruhig und auch für sie stand dann im Fokus zu erfahren was und wie es
passiert ist. Endlich kam nun auch Björn nach Hause. Da er bei unserem
Telefonat im Hintergrund fremde Stimmen gehört hatte, hatte auch er schon so
eine Vorahnung und mein Gesicht beim Betreten des Flurs muss wohl Bände
gesprochen haben. Auch er brach förmlich zusammen, war von Tränen und
Krämpfen geschüttelt. Wir alle konnten es nicht fassen und doch kam auf der
anderen Seite die Gewissheit „es ist real“. Sieht so die knallharte Realität des Lebens aus ? Larissa, meine Mutter und ich machten uns nun mit der
Polizei und beiden Seelsorgern an die Unfallstelle. Diese war nur ein paar
Minuten vom Haus entfernt, auf dem Rad-/Feldweg in Richtung Spielplatz. Ein
Weg den wir schon oft gefahren sind und den auch viele Spaziergänger nutzen
oder auch Autofahrer um auf den Grillplatz zu kommen. Und es war wirklich ein total sonniger Tag, mit einer
traumhaften Sicht bis in den Rheingau. Nun standen wir da und auch dieses Bild hätte aus
einer Filmszene sein können. Dort stand ein Leichenwagen und daneben eine
Trage mit Niclas in einem schwarzen Leichensack. Dieser war geöffnet, so
dass Niclas Kopf/Gesicht und die Schultern freilagen. Man konnte noch den
Stent von der Wiederbelebung sehen. Ich streichelte Niclas über sein
Gesicht. Er sah ruhig aus, auch wenn man natürlich sehen konnte, dass er
nicht einfach eingeschlafen ist, sondern einen Unfall hatte. Sein Gesicht
war stark bläulich verfärbt. Wir hatten natürlich nicht viel Zeit für den
ersten Abschied, aber irgendwie war es wichtig, damit man wusste, es ist
wirklich real und wir die Gewissheit hatten, dass er nie wieder zur Haustür
hereinkommen würde. Der riesengroße Traktor mit dem Niclas überrollt
wurde, war auch noch vor Ort. Anscheinend war man noch dabei die Spuren für
das Gutachten zu sichern, bzw. den Unfall zu rekonstruieren. Die Polizisten verabschiedeten sich von uns und die
Seelsorgerinnen fuhren wieder mit uns nach Hause. Sie blieben noch den
ganzen Nachmittag bei uns und wir unterhielten uns über ganz viele Dinge,
die zum Teil nichts mit der Situation oder dem Geschehenen zu tun hatten. So
um ca. 18 Uhr baten wir die Beiden uns doch alleine zulassen und baten sie
zu fahren. Im Laufe des Nachmittags hatten wir noch die
Schwiegereltern, unsere Freund Christine und Fevzi und Niclas Patenonkel Udo
informiert. Kurze Zeit später habe ich auch mit Daniela, der Mutter seines
besten Freundes Jonathan telefoniert. Mir war es lieber, dass Jonathan es
von uns und nicht durch irgendwelche WhatsApp Nachrichten erfuhr. Ich habe
noch versucht seine Klassenlehrerin anzurufen und habe ihr eine e-mail
geschickt um einen Rückruf von ihr zu bekommen. Am späten Abend meldete sie
sich dann bei mir und ich informierte sie über Niclas Unfall und seinen Tod.
Sie war total schockiert, konnte es auch nicht fassen, so hatte sie Niclas
noch in der 5. Stunde unterrichtet…. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer.
Innerhalb von 12-24 Stunden wusste alle schon bescheid, nicht nur die
Klassenkameraden, sondern auch alle die ihn kannten oder auch nicht kannten. Kaum zu fassen wie schnell heute doch solche Dinge gehen…. Und natürlich kamen auch sofort irgendwelche Gerüchte auf. Niclas hätte mit dem Handy Pokemons während des
Fahrradfahrens gefangen, etc… Nach dem Motto: „Der Junge war ja selbst daran
schuld“ Nun liebe Leute ich kann euch folgendes mitteilen: Niclas hatte das Handy in der Hosentasche als der
Unfall passiert ist ! Er hörte zu dem Zeitpunkt noch nicht mal Musik und
hatte auch keine Kopfhörer dabei ! Dies konnte die Polizei nach kurzer Zeit direkt
bestätigen, daher haben wir auch Niclas Sachen, inkl. Handy, sehr schnell
ausgehändigt bekommen. Wer auch immer als erstes dieses Gerücht in die Welt
gesetzt hat, der sollte sich ehrlich gesagt schämen und sich mal fragen ob
er wirklich nichts Besseres zu tun hatte….. ! Am späten Abend trafen dann noch unsere Freund
Christine und Fevzi bei uns ein, die das ganze Wochenende blieben und gegen
Abend kam auch Hanah, eine von Larissas besten Freundinnen, die auch bis
Sonntag blieb. Am Sonntag kam dann noch Chantal dabei und war für Larissa
da. |